Würden Menschen und Gesellschaft profitieren, wenn sich alle zumindest eine Zeit lang einer Psychotherapie unterziehen? Der Gedanke klingt einleuchtend, Marcus Neuzerling, M.Sc. ist jedoch anderer Meinung. Außerdem bitte ich in den Einzelsitzungen jeden, dass er vorsichtig sein soll mit Selbstdiagnosen. Eine Psychotherapie sei nicht für jeden gleichermaßen sinnvoll.
Wann eine Psychotherapie sinnvoll ist
Nicht bei jeder Person, die in meine Praxis kommt, kann ich eine genaue Lösung stellen. Eine Psychotherapie sei somit nicht immer indiziert.
Eine Psychotherapie ist nun mal eine Unterstützung, die dann erfolgt, wenn Menschen eine diagnostizierte psychische Störung haben.
Dabei nehmen nicht alle Menschen mit einer psychischen Störung eine Therapie in Anspruch.
Eine Therapie erfolge zumeist dann, wenn die Belastung den Alltag einschränke.
Einige Menschen mit Zwangsstörungen zum Beispiel hätten sich auch ohne Therapie in ihrem Alltag arrangiert.
Es sei möglich „mit Diagnosen zu leben“. Marcus Neuzerling, M.Sc. räumt jedoch auch ein, dass dies „vielleicht qualitativ gesehen nicht das beste Leben“ sei.
Wie sinnvoll eine Psychotherapie ist, hängt auch davon ab, ob die betreffende Person etwas an ihrer Situation ändern wolle.
Als Beispiel nenne ich eine Nikotinabhängigkeit. Da es sich um eine Sucht handelt, liege eine psychologische Diagnose vor.
Doch hegen einige Raucher:innen gar nicht den Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören.
Auf die Frage, ob nicht alle Menschen von einer Therapie profitieren würden, antwortet Marcus Neuzerling mit einem klaren Nein.
Um die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, sich um sich selbst zu kümmern und die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, bedürfe es nicht immer einer Psychotherapie.
Bei psychischen Leiden eine therapeutische Sprechstunde aufsuchen
Es gebe jedoch auch viele Menschen, bei denen eine Psychotherapie sinnvoll sei, die diese jedoch nicht in Anspruch nehmen. Gründe sind sowohl fehlende Kassensitze als auch die Tatsache, dass viele Menschen ihre Leiden herunterspielen.
Im Zweifelsfall sollte man nicht davor zurückschrecken, eine Sprechstunde zu vereinbaren.
Denn ob jemand eine Unterstützung benötigt und eine Therapie braucht, müsse lt. Marcus Neuzerling zufolge „niemand für sich selbst entscheiden.“
Das sei die Arbeit von Psycholog:innen oder Therapeut:innen. In einer ersten psychologischen Sprechstunde, entscheide sich, ob eine Psychotherapie ratsam sei, so Marcus Neuzerling, M.Sc.
Er rät deswegen allen Menschen mit Leidensdruck in eine Sprechstunde zu gehen.
Konkreter: Wenn man viel traurig ist, sich zu nichts aufraffen kann und sich auch nicht mehr mit Freundinnen treffen kann, weil man keine Energie dafür hat, dann sollte man sich Hilfe suchen.
Warnung vor Selbstdiagnosen
Gleichzeitig warne ich vor Selbstdiagnosen – die halte ich für problematisch. Als Beispiel nenne ich eine Person mit Liebeskummer. Dieser Zustand erfülle ähnliche Kriterien wie bei einer Depression. Dazu gehöre beispielsweise Weinen, aber auch Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, so Neuzerling. Dennoch sei es ihm zufolge in den meisten Fällen wahrscheinlich keine Depression.